Der FC Barcelona ist mit Suárez, Neymar und Messi torhungrig wie noch nie. Bayern München soll es Mittwoch live erleben

Zuletzt aktualisiert: 18.04.2024

Trio infernale

Manchmal ist das mit dem Fußball wirklich ganz einfach. „Eines Tages“, sagt Luis Suárez, „stand ich auf der Mittelstürmerposition und Messi sagte: ‚Bleib mal da.'“ Schon war das neue Wundertrio des Weltfußballs geboren.

Lionel Messi, Luis Suárez, Neymar. Der König, der Killer und der Künstler. Der vierfache Weltfußballer, der beste Torschütze der letzten Premier-League-Saison und der beste Brasilianer seiner Generation. Seit diese drei zueinander gefunden haben, bricht der FC Barcelona seine eigenen Rekorde, fühlt sich ein Besuch im Camp Nou wieder an wie eine Pilgerreise zum Nabel der Fußballwelt. Selbst das hyperkritische Umfeld schmachtet deshalb in poetischen Versen, so wie Ex-Profi Lobo Carrasco: „Gerade erst hast du gespielt, und schon will ich dich wiedersehen, Barça.“

Ein Wiedersehen gibt es am Mittwoch in Barcelona auch mit Pep Guardiola, der mit dem FC Bayern zum Halbfinal-Gipfel in der Champions League anreist. Vergangene Saison hätten sie sich noch gefürchtet vor diesem Treffen, die Barca-Fans und die Führungsetage, vor Guardiolas taktischen Finessen in Kombination mit der bekannt unbändigen Willenskraft teutonischer Mannschaften. Aber in diesem Jahr? Der FC Bayern mit oder ohne Robben, Ribéry oder Lewandowski? Wovor soll man sich fürchten, wenn man ein Trio infernale wie Messi, Neymar und Suárez hat?

Die drei haben wie zum Beweis in dieser Woche in Spaniens Liga gleich zwei Mannschaften demontiert: Am Dienstag gelang ein 6:o gegen Getafe, Samstag gab es ein 8:0-Schützenfest beim FC Cordoba. Es waren Routinesiege gegen Abstiegskandidaten, aber sie bestanden aus einer Ansammlung von Traumtoren. Hier ein Elfmeter-Lupfer von Messi, dort ein Volley-Scherenschlag von Suárez oder ein anstrengungsloses Solo von Neymar. Barcas magisches Dreieck erzielte 11 der 14 Treffer, Suárez schoß mit fünf Toren den Vogel ab.

Das Trio schraubte seine Ausbeute damit auf 108 Tore in allen Wettbewerben. Es verbesserte einen Klubrekord von 2009 durch Messi, Samuel Eto’o und Thierry Henry, die es auf 100 Tore brachten. Auf dem Weg zum Tripel aus Meisterschaft, Pokal und Champions League fegte Barça damals auch über den FC Bayern hinweg. Ein 4:0 beendete das Engagement von Teamchef Jürgen Klinsmann. Messi traf zweimal, Henry und Eto’o je einmal. Das aktuelle Team, Spitzenreiter in der Liga, qualifiziert für das nationale Pokalfinale, steht ebenfalls vor dem Tripel. Und wieder kann es gegen die Bayern ein Zeichen setzen, doch die haben jetzt mehr Qualität. 2009 verteidigten sie noch mit einer Viererkette aus Oddo, Demichelis, Breno und Lell.

Auf der anderen Seite dienen auch die Münchner Kantersiege von 2013 (4:0, 3:0) kaum als Referenz, denn sie ereigneten sich gegen ein von Messi abhängiges Barça, das im ersten Spiel mit einem angeschlagenen Messi und im zweiten ganz ohne Messi antrat. Die beiden Demütigungen spielen beim neuerlichen Aufeinandertreffen allerdings insofern eine Rolle, als sie für Barcelona eine Zäsur bedeuteten. Man begriff, dass nicht mehr alles auf Messi zugeschnitten sein konnte. Dass man es riskieren musste, ihm echte Stars an die Seite zu stellen.

Um Messi das ideale Biotop zu verschaffen, hatten Ex-Trainer Pep Guardiola und sein Assistent sowie Nachfolger Tito Vilanova zuvor die weiteren Stürmerpositionen quasi abgeschafft. Eto’o wurde im Sommer des Tripels verkauft, der für ihn angeworbene Zlatan Ibrahimovic ein Jahr später, als auch Henry den Klub verließ. Guardiola konzipierte seine große Elf vom Mittelfeld her und positionierte Messi davor als „falschen Neuner“. Dieser dankte es mit fantastischen Torquoten; übrige Angreifer wie David Villa oder Alexis Sánchez waren Statisten von seinen Gnaden.

In dem jungen Neymar verpflichtete der Klub dann im Sommer 2013 ein anderes Kaliber. Brasiliens Juwel, auserkoren dazu, Messi nachzufolgen als der Weltbeste. „Zwei Kapitäne auf einem Boot funktionieren nicht, das sollte man gelernt haben“, lästerte Vereinsikone Johan Cruyff. Doch nach einer titellosen Saison mit einem müden Messi und einem nur zufriedenstellenden Neymar ging der inzwischen abgelöste Sportdirektor Andoni Zubizarreta sogar einen Schritt weiter – und kaufte mitten im Aufschrei um dessen WM-Biss noch Suárez aus Liverpool dazu.

Der Uruguayer verpasste die ersten elf Spiele wegen seiner WM-Beißer-Sperre, und als der dann eingreifen konnte, verkrampfte er mangels Rhythmus und angesichts der Herausforderung, sich rehabilitieren zu müssen. Das Publikum jedoch liebte ihn von Anbeginn, es sah seine Aufopferung und den Stolz, für den Klub der Stadt spielen zu können, in der er früher als Teenager seine ausgewanderte Freundin und heutige Frau besucht hatte. Sein Eifer und Hunger half letztendlich, die übersättigte Mannschaft zu reanimieren. Gibt es eine Schlüsselfigur für Barcelonas Renaissance, dann ihn.

Ob es wirklich die Spieler selbst entschieden, wie Súarez suggeriert, oder nicht doch Trainer Luis Enrique – die Wiederbesetzung der Sturmmitte hat die Statik dieser Mannschaft verändert, sie aus einem Trott geholt. Es gelang, woran Barça in den letzten Jahren so oft scheiterte: ein Revirement, das Messi akzeptierte, sogar aktiv beförderte. Er befreite damit nicht zuletzt sich selbst.

Zehn Jahre nach dem ersten seiner 403 Pflichtspieltore für den Verein spielt der Argentinier jetzt: alles. „D10S“ – ein Wortspiel aus seiner Trikotnummer Zehn und „Dios“, dem spanischen Wort für Gott – ist auf dem Regisseursposten angekommen, wo seit jeher die Genies des Fußballs zu Hause sind. Darüber hinaus kümmert sich Messi um alles, was gerade erforderlich ist. Immer häufiger wird er mit seinem Landsmann Alfredo Di Stéfano verglichen, dem historischen Allrounder, der vom Spielaufbau bis zum Abschluss alle Facetten des Fußballs beherrschte. „Der neue Messi ist besser als der alte“, leitartikelte diese Woche die Zeitung „Sport“, und der alte schoss immerhin bis zu 73 Tore in einer Saison. Nicht dass die 49 aus dieser Spielzeit nebst 19 Assists – Karrierehöchstwert – schlecht wären.

Die Räume, in die er stoßen kann, schafft Suárez. „Barça hat jetzt wieder, was es mit Eto’o und mir hatte“, beobachtete Henry: „Diese Nummer Neun, auf die sie so lange gewartet haben. Mit Suárez im Team spielen alle besser.“ Barça hat außerdem einen Neymar, dessen Adaption an Europas Fußball im zweiten Jahr vorangeschritten ist, ohne dass er das brasilianische Element verloren hätte, das es, außer bei ihm, nirgendwo anders mehr gibt. Die Anarchie, die Improvisation – „einer, der noch Graffitis auf den Rasen malt“, wie Biograf Luca Caioli sagt. Seine Torstatistiken hat er gegenüber seiner Debütsaison mehr als verdoppelt, auf bislang 32 Treffer.

König, Killer, Künstler: Dieses Barça ist von den Angreifern her konzipiert. „Es geht darum, dass der Ball zu ihnen kommt“, sagt Verteidiger Gerard Piqué: „Sie sind so gut, dass wir in mancherlei Hinsicht anders spielen.“ Barcelona hat an stilistischer Perfektion verloren, aber an taktischen Mitteln gewonnen. Es entscheidet seine Partien jetzt manchmal sogar durch einen simplen Konter wie zuletzt den Clásico gegen Real Madrid, als Suárez einen hohen Pass aus der eigenen Abwehr veredelte.

Die Variabilität zwischen traditionellem Tiki-Taka und neuem Direktspiel erweist sich als besonders tauglich für Topspiele. Gegen Real wurde gewonnen, alle drei Partien (Liga und Pokal) gegen Atlético Madrid und die vier Champions-League-Matches gegen Manchester City und Paris St. Germain. Von den acht Toren in den Achtel- und Viertelfinals gegen den englischen und französischen Meister erzielte Messi kein einziges. Vier Treffer steuerte Súarez bei, drei Neymar.

Eifersucht von Messi gibt es nicht. Das liegt auch daran, dass ihn seine Sturmpartner als Primus akzeptieren – und er sie umgekehrt als große Fußballer. Als würdige Spielkameraden. „Es ist nicht schwer, mit Messi gut auszukommen, du musst nur seine Vorlagen reinmachen“, sagte mal ein Mitspieler. Die Entscheidung, ihm das Beste vom Besten zur Seite zu stellen, war insofern die richtige, und dass beide aus Südamerika kommen, hat bestimmt nicht geschadet. Luis Suárez begründet seine „geniale Beziehung“ zu Messi auch mit dem argentinischen wie uruguayischen Nationalgetränk, das beide oft zusammen einnehmen: „Der Mate spielt eine große Rolle, er hat uns zusammengebracht.“ Manchmal ist es im Fußball eben ganz einfach.

Quelle: http://www.welt.de/print/wams/sport/article140431630/Trio-infernale.html

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